Sehr geehrter Herr Minister Mohrs,
mit seiner Resolution vom 29.1.2025 hat der Deutsche Bundestag die dringende Notwendigkeit anerkannt, jüdisches Leben auf dem Campus zu schützen und antisemitischen Vorfällen und Tendenzen
in Schule und Hochschule entschieden entgegenzuwirken.
Vor dem Hintergrund anhaltender Kriegshandlungen im Nahen Osten stellen wir allerdings eine weitere Zunahme antisemitischer Äußerungen im universitären Bereich fest. Die fortschreitende Polarisierung der Gesellschaft macht insbesondere israelbezogenen Antisemitismus zunehmend salonfähig. Neben offenen Anfeindungen machen Hochschulangehörige mit jüdischem oder israelischem Hintergrund – persönlicher oder fachlicher Art – Ausgrenzungserfahrungen vor allem durch institutionelles Wegsehen, Relativierung und Abwehrmechanismen gegenüber Betroffenen, die Antisemitismus benennen.
Erste Erhebungen und Studien zeigen, dass es sich keineswegs um Einzelfälle handelt, sondern vielmehr ein systemisches Problem vorliegt. Jüdische Studierende und Mitarbeitende berichten von wachsendem Druck, Angst und Isolation. Wer sich gegen Antisemitismus ausspricht oder jüdisches Leben sichtbar
machen will, wird nicht geschützt – sondern häufig selbst zur Zielscheibe.
Die bestehenden Anlaufstellen greifen zu kurz. Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsbeauftragte an Hochschulen verfügen häufig nicht über die notwendige Expertise, um Antisemitismus – insbesondere in seinen aktuellen Erscheinungsformen – zu erkennen und einzuordnen. Es fehlt an Wissen über israelbezogenen Antisemitismus, über antisemitische Codes im akademischen Diskurs und über die Besonderheiten antisemitischer Ideologien. Allzu oft wird Antisemitismus entweder individualisiert oder als bloße Meinungsverschiedenheit abgetan.
Hinzu kommt: Teile des universitären Diskurses, insbesondere in bestimmten Ausprägungen postkolonialer Theoriebildung, reproduzieren selbst antisemitische Narrative – oftmals unbemerkt, aber nicht folgenlos. Wenn die strukturellen Spezifika von Antisemitismus nicht erkannt werden, wird seine Gefahr unterschätzt. Anders als andere Diskriminierungsformen funktioniert Antisemitismus nicht entlang einfacher Machtasymmetrien – seine Logik ist oft paradox, projektiv und gerade deshalb schwer greifbar. Es braucht deshalb eine spezialisierte Ansprech- und Fachstelle gegen Antisemitismus an Hochschulen.
Die Bundesrepublik hat sich zur Arbeitsdefinition der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance) bekannt – und auch Niedersachsen bezieht sich in seiner politischen Arbeit auf diese Definition. Doch eine Definition allein reicht nicht aus. Sie muss auch umgesetzt werden. Wenn jüdische Menschen in deutschen Universitäten erleben, dass ihnen der Schutz entzogen wird, dann steht mehr auf dem Spiel als ein Einzelfall: Es ist eine demokratische Kernfrage.
Wir fordern daher:
• eine klare Positionierung Ihres Ministeriums zur dramatischen Situation jüdischer Menschen an niedersächsischen Hochschulen;
• die Einführung von unabhängigen Antisemitismusbeauftragten an allen Hochschulen des Landes;
• die nachhaltige Schulung bestehender Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsstellen im Umgang mit Antisemitismus;
• die flächendeckende Anwendung der IHRA-Arbeitsdefinition in Lehre, Forschung und Hochschulverwaltung;
• und den Schutz solidarischer Netzwerke, die sich gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben einsetzen.
Aus gegebenem Anlass betonen wir, dass die Antisemitismusbeauftragten nicht den Hochschulleitungen
untergeordnet werden dürfen, sondern unabhängig agieren müssen. Sie sind Ansprechpartner für akute Vorfälle und werden bei Berufungen und strategischen Personalentscheidungen zu Rate gezogen. Die Kommissionen zur Auswahl der Beauftragten müssen mindestens zur Hälfte mit Personen besetzt sein, die über antisemitismuskritische Fachkompetenz verfügen.
Die gegenwärtigen Zustände sind alarmierend. Wenn Menschen, die sich gegen Antisemitismus stellen, systematisch unter Druck geraten – wenn Hochschulen zu Räumen werden, in denen jüdische Studierende sich verstecken müssen – dann handelt es sich nicht mehr um eine Schwäche der Strukturen, sondern um ein strukturelles Versagen. Wir bitten Sie, mit uns gemeinsam Verantwortung zu übernehmen, bevor noch mehr Vertrauen zerstört wird.
Das Netzwerk Jüdischer Hochschullehrender stellt seine Expertise und Kontakte an den niedersächsischen Hochschulen gern zur Verfügung und ist bereit, an der Verbesserung der Situation aktiv mitzuwirken.
Prof. Dr. Julia Bernstein (Vorsitzende)
Prof. Roglit Ishay (Zweite Vorsitzende)
Dr. Ilja Kogan
Mitinitiaor*innen: JSUD, Keshet Deutschland e.V, VJSNord