Wir unterstützen den offenen Brief an den Frankfurter OB, den Magistrat und die Stadtverordneten: Palästinensische Stimmen gehören zur Stadtgesellschaft!
Wir unterstützen den offenen Brief, den Frankfurter Palästinenserinnen und Palästinenser an den OB Mike Josef und die Vertreter:innen des Stadtparlaments und der Stadtregierung gerichtet haben. Auch palästinensische Stimmen müssen Teil der politischen Debatte in Frankfurter Institutionen und Foren sein, und von gewählten Vertreter:innen im Rahmen ihrer politischen Initiativen einbezogen und gehört werden.
Der offene Brief im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrter Herr Magistrat,
sehr geehrte Abgeordnete der Stadt Frankfurt am Main,
wir wenden uns heute an Sie in unserer Eigenschaft als Palästinenserinnen und Palästinenser gleichzeitig aber auch als Frankfurter Bürgerinnen und Bürger, die teilweise seit Generationen in dieser Stadt leben.
Frankfurt betont, stolz auf seine Weltoffenheit zu sein und seine vielfältige Bevölkerung. Die Stadt hat sich auch in der Vergangenheit schon oft an die Seite der von Kriegen und Verfolgung betroffenen Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt gestellt.
Auch aus diesem Grund leben wir gerne in dieser Stadt, und einige von uns engagieren sich seit Langem in gesellschaftlichen Initiativen für das Zusammenleben und das Verständnis zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion und Kultur.
Als Palästinenserinnen und Palästinenser erleben wir nun seit zwei Jahren täglich, wie Menschen in unserem Herkunftsland bombardiert, erschossen, vertrieben und ausgehungert werden. Offizielle Zahlen sprechen von über 60.000 Toten, davon 39,7 % Kinder (Quelle: unric.org/de/gaza-nach-un-angaben-vor-allem-frauen...) . In der international renommierten medizinischen Fachzeitschrift “The Lancet” veröffentlichte Studien gehen jedoch davon aus, dass die Zahl der Toten mindestens 40% höher ist (Quelle: srf.ch/news/international/artikel-in-the-lancet-st...)
Seit zwei Jahren sehen wir in den deutschen Medien täglich unbeschreibliche Bilder der Zerstörung ganzer Landstriche, Menschen, die an extrem wenigen, schwer oft erreichbaren Verteilzentren für Lebensmittel willkürlich erschossen werden, als handele es sich um ein Videospiel, und Kinder mit abgetrennten Gliedmaßen, die in Krankenhausfluren auf den Fußböden auf minimalste Behandlung warten bzw. hoffen.
Uns hier in Frankfurt bereiten diese Bilder schlaflose Nächte, die Menschen in Gaza sind hochtraumatisiert und erschöpft. Nicht nur Krankenhäuser, Schulen und jegliche Infrastruktur sind zerstört, sondern auch die Seele der Menschen, vor allem die der Kinder, die einen Großteil der Bevölkerung ausmachen.
So gut wie alle in Frankfurt lebende Palästinenserinnen und Palästinenser haben Opfer unter ihren Angehörigen in Gaza (81 Familienangehörige in einer Familie). Auch diejenigen, deren Angehörige es bisher geschafft haben, zu überleben, leben in ständiger Angst vor den nächsten Nachrichten.
Seit zwei Jahren versuchen wir, die Stadtbevölkerung durch verschiedene Initiativen über diese Situation zu informieren, und erfahren dabei auch viel Solidarität. Seit zwei Jahren werden wir jedoch von offizieller Seite ignoriert, kriminalisiert und teilweise als Terroristen oder Dschihadisten dargestellt. Demonstrationen werden verboten, Veranstaltungsorte gekündigt, Rednerinnen und Redner ausgeladen. Weltweit anerkannte Institutionen wie Amnesty International oder ECCHR haben die Situation in Gaza als Völkermord bezeichnet. Wir erleben einen Völkermord, der vor unseren Augen stattfindet und von den Medien – in der letzten Zeit auch den öffentlich-rechtlichen deutschen Medien – sehr wohl dokumentiert ist.
Diese Tatsache ist jedoch kein Teil des öffentlichen Lebens und der institutionellen demokratischen Diskurses in der Frankfurter Stadtgesellschaft.
Es werden keine Diskussionsforen geschaffen, in denen Palästinenserinnen und Palästinenser von ihrer Situation berichten können. Es werden keine Gedenkminuten abgehalten oder öffentliche Gebäude beflaggt.
Kein Oberbürgermeister spricht den Menschen vom Rathausbalkon aus seine Solidarität aus und ruft dazu auf, als Zivilgesellschaft solidarisch an der Seite der Betroffenen zu stehen und mit Haltung Druck auf deutsche und internationale Institutionen auszuüben, um das tägliche Morden zu beenden.
Wir Frankfurter Palästinenserinnen und Palästinenser setzen uns für das Zusammenleben aller Menschen in Frankfurt und in unserer Gesellschaft allgemein ein. Wir stellen uns gegen Diskriminierung und Ausgrenzung jeglicher Art, gegen Antisemitismus und Rassismus.
Seit 1947 werden Palästinenserinnen und Palästinenser vertrieben und verfolgt. Seitdem leben wir in vielen Teilen der Welt verstreut – auch in Frankfurt.
Wir sind ein Teil dieser Stadtgemeinschaft und ihrer Institutionen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung gilt auch für uns, und wir wollen nicht weiter mundtot gemacht werden.
Wir fordern daher von Ihnen als Oberbürgermeister und von Ihnen als Stadtverordnete und Magistrat:
-eine öffentliche Anhörung in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung
-ein öffentliches Gespräch mit dem Frankfurter Oberbürgermeister, um ihm von unserer Situation zu berichten
-die Nutzung des städtischen Raumangebots der Stadt Frankfurt, um dort bei Veranstaltungen der Stadtgesellschaft unsere Situation darzustellen und die Teilnahme an städtisch geförderten Bildungsprogrammen
-auch symbolisch im Stadtbild vertreten zu sein, beispielsweise durch das Hissen der palästinensischen Fahne an öffentlichen Gebäuden, im Gedenken an die Palästinensischen Opfer
-Aufnahme von Schwerverletzten aus Gaza, deren medizinische Behandlung dort nicht durchgeführt werden kann
-den Einsatz der Frankfurter Stadtregierung mit all ihrer Kraft und weltweiten Bekanntheit, um sich für einen definitiven Waffenstillstand und ein Ende der Blockade in Gaza einzusetzen.
Angesichts eines vor unseren Augen stattfindenden Völkermords ist Schweigen keine Option – weder als Palästinenserinnen und Palästinenser, noch als Frankfurterinnen und Frankfurter, noch als Weltöffentlichkeit.
Unterzeichnende:
gez. Jehad Ahmad für die Palästinensische Gemeinde Frankfurt
Unterstützende: